Fallbeispiele
Jedes Jahr sterben in Deutschland Kinder durch Misshandlungen oder werden schwer verletzt. Die Auswahl der hier dargestellten Kinderschicksale zeigt die Realität und macht deutlich, wie wichtig es ist, möglichst frühzeitig aufzudecken, ob ein Kind Misshandlungen ausgesetzt ist.
Darf man solche Bilder zeigen?
Ja – denn sie geben die Realität wieder. Nicht die Bilder sind schlimm, sondern das, was diesen Kindern angetan wurde (Heinz Sprenger, Kriminalbeamter, KK11 Duisburg, Mitbegründer von RISKID).
Die Bilddokumente wurden keinem Lehrbuch entnommen.
Die Fallbeispiele stammen aus dem Praxisalltag einer (!) Duisburger Kinder- und Jugendarztpraxis, sowie der Ermittlungsarbeit der Duisburger Kriminalpolizei und Rechtsmedizin.
Es ist danach leicht vorstellbar, wie viele Kinder im gesamten Bundesgebiet von diesem Problem betroffen sind. Patientenidentitäten wurden teilweise geändert, um Persönlichkeitsrechte zu schützen.
Die Bilder zeigen ein vierjähriges Mädchen aus Oberhausen. Ihre Mutter arbeitete als Prostituierte. Sie und ihr Zuhälter (Stiefvater des Kindes) quälten das Kind regelmäßig.
Dem Kind wurden Verbrennungen mit einem Föhn, Zigarettenkippen und durch Fesselungen beigebracht. Das Kind wurde immer dann, wenn die Frau und ihr Zuhälter die Wohnung verließen, ans Bett gefesselt.
Fotodokumentation von der ambulanten Untersuchung im Rahmen der Vorsorge U7:
Hämatome im Halsbereich. Im Gesichts- und Nackenbereich zahlreiche kleinere Hauteinblutungen ( Petechien ). Zusätzlich befanden sich Hämatome im Rückenbereich.
Die Mutter hatte das Kind gewürgt, was sie zunächst bestritt. Auch die eingesetzte Familienhilfe schloss kategorisch die Möglichkeit einer Kindesmisshandlung als abwegig aus. Sie teilte der Mutter aber den
ärztlicherseits bestehenden Verdacht mit, worauf diese den Arzt wechselte.
Wegen einer bekannten Überforderungssituation der alleinerziehenden Mutter in einem sozial problematischen Umfeld wurde die Familie bereits vom Jugendamt betreut. Es gab zwar Kontakte aber keine regelmäßigen
häuslichen Besuche durch die Familienhilfe.
6 Monate zuvor war das Kind bereits im Krankenhaus wegen Hämatomen und Bissverletzungen stationär behandelt worden. Als Verursacherin wurde von der Mutter die 1 Jahr ältere Schwester benannt. (3 Jahre alt !!)
Bei einem weiteren Krankenhausaufenthalt ein paar Monate später wegen einer Bronchitis wurde zusätzlich eine Fraktur des linken Oberarms festgestellt ( Grünholzfraktur ).
3 Monate nach der ambulanten Vorstellung zur Vorsorgeuntersuchung U7 erfolgte erneuter Krankenhausaufenthalt wegen zahlreichen Blutergüssen auch an für ein Unfallgeschehen untypischen Stellen.
Insbesondere am Oberschenkel fanden sich fingerförmige Hauteinblutungen.
Das Jugendamt schaltete die Kriminalpolizei ein. Das Kind wurde in eine Pflegefamilie gegeben.
Das Mädchen wurde von seinen Eltern ständig geschlagen und gequält.
Es wurde in einen Raum eingesperrt, der durch einen elektrischen Ofen vollkommen überhitzt war.
Die auf dem Bilddokument zu sehenden Verletzungen stammen von einer Gürtelschnalle, mit der der Vater auf das Kind eingeschlagen hatte.
Mit im Haushalt lebte der zweijährige Bruder. Dieser wurde, anders als das Mädchen, auf der Basis des soziokulturellen Hintergrunds wie ein kleiner Prinz behandelt.
Das Mädchen war bereits schon einmal wegen erwiesener Misshandlungen durch die Eltern aus der Familie herausgenommen worden.
Für die Dauer eines Jahres hatte man C. in einem Heim untergebracht, wo sie sich erstaunlich schnell erholte und wo es ihr sehr gut ging.
Auf Intervention des Jugendamtes und gegen den Rat der Familienhilfe kam das Kind wieder in die Familie zurück.
3 Monate nach der Zurückführung in der Familie erlag das Kind den Misshandlungen durch seine Eltern.
Vom 22-jährigen Freund der Mutter mehrfach mit den Fäusten geschlagen und durch Messerstiche verletzt.
Das Kind wurde außerdem des Öfteren mit einer Eisenstange geprügelt.
Ebenso gehörte es zu den Tathandlungen des Mannes, dass er M. mit Essigessenz übergoss und ein anderes Mal den Jungen unter die Dusche stellte und dabei kochend heißes Wasser über schüttete.
Von Natalie gibt es nur ein Bild von ihrem Erdgrab und ihre Geschichte. Das Mädchen war zu Lebzeiten bis zu ihrem Tod ständigen Schlägen und Misshandlungen ausgesetzt. Bereits ein Jahr vor dem Leichenfund im April 2004 war sie ihren schweren Verletzungen erlegen.
Nach ihrem Tod versuchten die Eltern das Kind in einem Fass mit Säure aufzulösen.
Die Leiche von Nathalie wurde am Autobahnkreuz Duisburg-Kaiserberg aus Ihrem Grab geborgen. Sie war derartig verwest, dass noch nicht einmal die Todesursache festgestellt werden konnte.
Die gesamten Familienverhältnisse waren sehr problematisch. Ständiger Wechsel der Wohnanschriften und keine Arztbesuche gehörten zum Alltag. Im April 2004 wurde Nathalie durch den Lebensgefährten der Mutter, dem man schon einmal das Sorgerecht für ein Kind entzogen hatte, derartig ins Gesicht geschlagen, dass sie anschließend ihren Kopf nicht mehr gerade halten konnte. Das Kind wurde bettlägerig, konnte keine Nahrung mehr zu sich nehmen, trübte ein und verstarb, ohne dass ein Arzt gerufen wurde.
Damit war die Leidenszeit des Kindes zu Ende. Meldungen an das Jugendamt über häufiges Kindergeschrei waren von Nachbarn gemacht worden. Dann war das Kind über mehrere Monate nicht gesehen worden. Erst danach wurde die Kriminalpolizei eingeschaltet.
Im Rahmen der Gerichtsverhandlung vor dem Duisburger Landgericht schrieb der Duisburger Journalist Stefan Endell die sehr einprägsamen Worte:
Arme kleine Nathalie, dein Leben war nach 4 Jahren schon zu Ende, bevor es richtig losgehen konnte. Du wurdest immer geschlagen, du bist still und jämmerlich gestorben, du wurdest heimlich verbuddelt, wie illegaler Hausmüll.
Und niemand hat dich vermisst. Ein Jahr lang nicht!
Auf dem Arm der von Geburt an das Kind betreuenden SPFH ( Sozial-pädagogische Familienhilfe ). Trennungsproblematik. Im Rahmen der Besuchsrechtsregelung war das Kind auch regelmäßig in der Wohnung des sorgeberechtigten Vaters.
Beim letzten Besuch zwei Wochen zuvor wurde der Säugling vom Vater mehrfach auf die Tischkante geschlagen und geschüttelt.
Ärztliche Diagnose:
Kephalhämatom ( Einblutung unter die Knochenhaut des Schädelknochens ), Schütteltrauma, Schädelinnenraumblutungen : subdurale Blutung.
Fotodokumente:
auffällige Schädelkontur (Kephalhämatom ). Das Ultraschallbild zeigt als dunklen Saum die Flüssigkeit zwischen Schädelknochen und Gehirn: Hygrome ( Folgezustand vorausgegangener subduraler Hämatome ).
In der MRT Untersuchung:
chronische subdurale Hämatome unterschiedlichen Alters , sowie Verletzungen des Hirngewebes als Hinweis auf wiederholte vorausgegangene Misshandlungen.
Augenärztliche Untersuchung:
Netzhauteinblutungen in beiden Augen.
Der Säugling wurde auf der Kinderintensivstation behandelt und überlebte die Misshandlungen. Ein Jahr wird der Junge als schwerstbehindertes Kind von Pflegeeltern versorgt.
D. störte den neuen Freund ( 29 ) der Mutter beim Fernsehen, weil er zu laut mit seiner vierjährigen Schwester im Wohnzimmer spielte.
Er wurde daraufhin zunächst zusammen mit seiner Schwester für einige Zeit in einen Keller bei völliger Dunkelheit eingesperrt. Später wurden die Kinder in die Wohnung zurückgeholt.
Als sich der Freund der Mutter weiterhin beim Fernsehen durch den Jungen gestört fühlte, stopfte er das Kind in einen Wäschetrockner, um es zu bestrafen. Die Maschine wurde eingeschaltet. Dominik wurde gerettet, weil zufällig ein Nachbar die Familie aufsuchte. Zunächst behauptete der 29 Jährige, die 4 jährige Schwester habe ihren Bruder in den Wäschetrockner gesteckt und dann die Maschine in Gang gesetzt.
Eine Rekonstruktion des Tathergangs ergab, dass die Vierjährige aufgrund ihres Entwicklungsstands dazu nicht in der Lage war, zumal die Tür des Wäschetrockners zusätzlich auch noch klemmte. Es konnte rekonstruiert werden, dass der kleine D. entsetzliche 2 min in dem rotierenden Wäschetrockner verbracht hatte.
Die Fotodokumentation zeigt die großflächigen Verbrennungen, die das Kind sich in der Trommel des Wäschetrockners zuzog, sowie Prellungen und Blutergüsse.
Die Gefahr einer Kindesmisshandlung wurde erstmals vom Techniker eines Telekommunikationsunternehmens ans Jugendamt gemeldet, als er die problematischen Wohn und Lebensumstände, in denen der kleine M. lebte,
währen einer beruflichen Tätigkeit in der Wohnung beobachtete.
Die drogenabhängigen Lebenspartner wechselten drei mal die behandelnden Ärzte, ohne dass die behandelnden Ärzte ihre Befunde untereinander austauschen konnten, da ihnen das doctor-hopping nicht bekannt war.
Kontrolltermine zur Abklärung einer ärztlicherseits diagnostizierten auffälligen körperlichen Entwicklung wurden von den Erziehungsberechtigten nicht eingehalten.
4 Monate nach dem letzten Arztkontakt wurde das Kind von der Polizei in der Wohnung rein zufällig entdeckt.
Nachbarn hatten wegen Ruhestörung durch einen Streit der Lebenspartner die Funkstreife gerufen.
Das Kind mußte ohne Matratze auf dem Fliesenboden schlafen und erhielt als Nahrung lediglich Haferflocken.
Der ärztliche Befund:
untergewichtig, zu klein, Hautveränderungen durch Krätze, zahlreiche Blutergüsse unterschiedlichen Alters und Narben am Rücken, Armen und Beinen und Kopf. Brillenhämatom. Hämatom an den Ohrmuscheln.
Tabaksbeutelgesäß durch Unterernährung. Auch bei den Laboruntersuchungen fanden sich hinweise auf eine länger bestehende Mangelernährung.
Am rechten Fuß des Kindes fand sich eine Verbrennung:
Sie war entstanden, weil das Kind an ein Heizungsrohr gefesselt worden war.
Der kleine M. war außerdem in allen Entwicklungstufen ( Sprache, Bewegung, Sozialverhalten ) deutlich entwicklungsretardiert.
Gegen die Mutter und den Lebenspartner wurde Strafanzeige gestellt und ermittelt, das Kind kam in eine Bereitschaftspflegefamilie.
In diesem konkreten Fall konnte durch RISKID frühzeitig eine Misshandlung bei der Neuvorstellung festgestellt werden, nachdem der vorbehandelnde Arzt den Patienten als Risikokind in die Datei eingestellt hatte. Die Mutter hatte zwischenzeitlich den Arzt schon 2x gewechselt.
Der Fall war letztendlich so gravierend, dass das Kind zu seinem Schutz zunächst durch eine Klinikeinweisung vor weiteren Misshandlungen im häuslichen Umfeld in Sicherheit gebracht wurde.
In diesem Fall ermittelte die Kriminalpolizei als mutmaßlichen Täter den neuen Lebenspartner der Mutter.
Nach Inhaftierung des Täters fand die Mutter die Kraft, sich von diesem Mann zu trennen, dem sie sich bis dahin hilflos ausgeliefert gefühlt hatte. Mit Unterstützung des Jugendamtes betreut sie ihr Kind jetzt weiter.
Lebenssituation: Ortwechsel bei Trennungsproblematik, neuer Lebenspartner.
Erstkontakt, ambulante Untersuchung: auffällige Hautveränderungen um die Analöffnung.
Das Kind war deswegen bereits schon einmal operiert worden. Jetzt wiederholtes Auftreten.
Diagnose Condylomata acuminata (Feigwarzen). Rezidiv (Wiederholung).
Feigwarzen kommen auch nach sexuellem Missbrauch vor. Im vorliegenden Fall konnte dies als Ursache ausgeschlossen werden.