Aktuelle Rechtssituation für Ärzte bei Verdachtsfällen von Kindesmisshandlung
Ärzte unterliegen sowohl berufsrechtlich (Musterberufsordnung, MBO § 9) als auch strafrechtlich (§203 StGB) einer Schweigepflicht.
Diese gilt auch gegenüber anderen Ärzten, die denselben Patienten behandeln. Ein Informationsaustausch zwischen diesen Ärzten ist daher ohne Einwilligung des Patienten bzw. seines gesetzlichen Vertreters nicht erlaubt.
Ärzte haben im Interesse der Patientinnen mit anderen Ärzten und Angehörigen anderer Fachberufe im Gesundheitswesen zusammenzuarbeiten.
Soweit dies für die Diagnostik und Therapie erforderlich ist, haben sie rechtzeitig andere Ärztinnen und Ärzte hinzuzuziehen oder ihnen die Patientin oder den Patienten zur Fortsetzung der Behandlung zu überweisen.
Wenn mehrere Ärztinnen und Ärzte gleichzeitig oder nacheinander dieselbe Patientin oder denselben Patienten untersuchen oder behandeln, so sind sie untereinander von der Schweigepflicht insoweit befreit, als das Einverständnis der Patientin oder des Patienten vorliegt oder anzunehmen ist (MBO §7)
Eine Durchbrechung der Schweigepflicht ist allerdings in Fällen eines rechtfertigenden Notstandes (§ 34 StGB) möglich.
Die gesetzliche Regelung erlaubt es hier unter anderem, das Jugendamt (ggf. auch das Familiengericht oder die Strafverfolgungsbehörden) zu unterrichten, wenn dem Arzt Umstände bekannt werden, aus denen sich ergibt, dass das Kindeswohl durch die konkrete Gefahr einer Misshandlung, eines sexuellen Missbrauchs oder einer Vernachlässigung des Kindes bedroht ist.
Hierzu sind aber deutliche Hinweise erforderlich; bloße Verdachtsmomente genügen nicht
Das Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG, 1/2012) regelte lediglich die ärztliche Information von Kindeswohlgefährdung an die Jugendhilfe. Der Informationsaustausch zwischen Ärzten bei Verdacht auf Kindesmisshandlung blieb ungeregelt.
Im Rahmen der Verabschiedung des BKiSchG wurde seinerzeit keine Regelung getroffen, die es Ärzten ermöglicht sich gegenseitig zu informieren und Befunde auszutauschen, um Diagnosen mit möglicher Kindeswohlgefährdung hinreichend zu erhärten oder auszuschließen. Dadurch werden die Möglichkeiten im Medizinbereich Kindeswohlgefährdungen aufzudecken und an die Jugendhilfe zu melden stark eingeschränkt. Erfahrungen aus Kinderschutzambulanzen zeigen, dass beim Erstkontakt oft in weniger als 50% der Fälle bereits eine Kindesmisshandlung/Kindeswohlgefährdung nachgewiesen bzw. ausgeschlossen werden kann. Die im BKiSchG nach §4 KKG vorgesehene Beratungsmöglichkeit durch eine INSOFA (insofern erfahrene Fachkraft) hilft Ärzten zuvor nicht bei der Diagnostik nach ICD 10. Eine Diagnose nach ICD10 ist aber für Ärzte die Grundlage für die Meldung einer Kindeswohlgefährdung an die Jugendhilfe.
Die Situation wird noch dadurch verschärft, dass Kindesmisshandler öfter den Arzt wechseln, um ihre Taten zu verschleiern (doctor dopping). Das führt dazu, dass die Diagnose Kindesmisshandlung mit all ihren Folgen oft erst zu spät gestellt wird. Informationssysteme gegen „doctor hopping“ wie RISKID für den ärztlichen konsiliarischen Informationsaustausch („interkollegiale Information“) können hier weiterhelfen. Nach aktueller Rechtslage müssen Ärzte bei ihren Verdachtsfällen von Kindesmisshandlung aber erst bei den Sorgeberechtigten (potentiellen Misshandlern) das Einverständnis einholen, um sich untereinander über ihre Befunde und Diagnosen informieren zu können. (Abb.2)
(Huster/Rux: Kindeswohl und Datenschutz – Rechtslage und Reformüberlegungen am Beispiel von RISKID, NWVBl. Heft 12/2008, S. 455-460)
Einige Bundesländer haben inzwischen nachgebessert und die interkollegiale ärztliche Information gesetzlich geregelt.
